7. Januar 2019
Das Jahr begann, wie das alte aufhörte - in Bolivien ... eingeladen bei Miriams Cousine Yamile und ihrem Mann Daniel sowie Großtante Charro verbrachten wir einen etwas ungewöhnlichen Silvesterabend: Das Fleisch auf dem Grill wollte einfach nicht zart werden, um Mitternacht aßen wir jeder zwölf Trauben, jede für einen der Monate im neuen Jahr, und dann nahm Tante Charro Miriam an die Hand und lief mit ihr alle Treppen des Hauses hoch, um ihren beruflichen Aufstieg im Jahr 2019 zu manifestieren. Alles in allem ein ganz anderes Reinfeiern als in Deutschland - aber auch schön. Zur Freude der Kinderschar zündeten alle Böller und Raketen, dann setzte der Neujahrsregen ein und alles weitere ist Geschichte ...
Ein paar Tage später kam dann Miriams Cousine Nadine aus Hamburg eingeschwebt – wieder beehrte eine Botschafterin deutscher Köstlichkeiten unser Haus und versorgte uns mit allerlei Leckereien und diversen Mitbringseln. Leider platzte ein Heilerde-Beutel in ihrem Koffer, so dass das kostbare feinsandige Erdreich auch noch Tage später allerorten im Haus herumwehte. Und noch ein Missgeschick hatte Folgen: Miriam fiel eine Müsli-Schale vom Tisch und eine Scherbe bohrte sich in Lukas Zeigefinger. Ab ins Krankenhaus, mit sechs Stichen genäht, aber zum Glück keine bleibenden Schäden. Puh!
Am selben Tag bestieg Daniel den Flieger in Richtung Heimat, dieses Mal direkt nach Hamburch (der eigentliche Reisegrund war ein Treffen aller KooperantInnen des WFD in der Nähe von Berlin).
Nach 11.000 Kilometern kam er rund einen Tag später in Altona bei seinem Bruder Simon und seiner Schwägerin Elsa an, wo Regina schon Stunden vorher in einer deutsch-costa-ricanischen Koproduktion einen Rehrücken in den Ofen geschoben hatte, mit Rotkohl und Klößen. Weihnachten im Januar sozusagen. Helmut hatte das Pils kaltgestellt, bevor er Daniel vom Flughafen abgeholt hatte, und so stand einem entspannten Abend nichts mehr im Wege.
Als alle mit vollem Magen darniedersanken, machte sich Daniel im vollen Besitz seiner Jetlag-Kräfte noch auf den Weg Richtung Altonaer Balkon, verkleidet mit Skimütze, Kapuze und Daunenjacke. Als ihm der Regen waagerecht ins Gesicht wehte und das Bier in seiner Hand halb gefror, konnte er ein gewisses Heimatgefühl nicht leugnen. Wie geruhsam, wie gemütlich.
Am Sonnabend dann mit den Schwiegereltern Luise und Thomas im Café Kattelbach gespeist, geschwelgt und getrunken, bevor es wie beim letzten Besuch schon auf die Reeperbahn ging, wo ein paar verwegene Burger-Jünger dem norddeutschen Winter trotzten, um einige Fleischpattys später über den Park Fiction am Pudel vorbei nach StrandPauli zu ziehen, wo es heimelig nach Glühwein roch. Das Lagerfeuer brannte, das Pils perlte und der Hafen zog vorbei. Als der Morgen graute, ging es auf nach Berlin, ein Besuch bei Daniels Patensohn Lasse stand an - nebst ersten Unterhaltungen mit dem kecken Nils-Bennet, dem jüngstem Spross der Familie, der unerwarteterweise auch schon ganz schön viel brabbeln konnte. Und natürlich viel Palaver mit dessen Eltern Simon und Holle. die sich wieder einmal als hervorragende Gastgeber entpuppten. Der letzte Flecken Zivilisation vor dem Weg zur Geburtstagsfeier ins Unbekannte, jene Uckermark, in der Nazis und Wölfe ihr Unwesen treiben ...
14. Januar 2019
„Time is gonna come
When the nights grow long
And you won’t know what’s missing
But you’ll know that it’s gone“
(Charlie Cunningham)
Schneeregen, Minustemperaturen und durchschnittlich sechs Stunden Helligkeit pro Tag: Die Uckermark meinte es nicht gut mit dem sonnenverwöhnten Daniel. Doch so wie ihm ging es auch den anderen rund 25 TeilnehmerInnen am Kooperantentreffen des WFD, die aus aller Welt angereist waren.
Untergebracht in Bunga-Bungalows am Lychener See auf einem alten Gutshofgelände sollte so der 60-jährige Geburtstag von Daniels Entsendeorganisation gefeiert werden, was gründlich misslang. Dies lag nicht nur an den oben beschriebenen Witterungsverhältnissen, sondern vor allem am extrem esoterisch angehauchten Moderatoren-Team. Das hält sich nach eigener Aussage im alltäglichen Leben am liebsten „im, am und auf dem Baum“ auf und faselte ständig von positivem Energiefluss, der sich aber leider bei den Anwesenden nicht so richtig entfalten wollte.
Am Ende der Woche ging es für Daniel zurück nach Berlin, wo sein alter Kumpel Alex K. schon auf ihn wartete, um in seinen Geburtstag reinzufeiern. Am nächsten Tag dann Pizza mit CK, Baby-Booming mit Alex S. und am Samstagabend die Geburtstagsparty, bei der sich allerlei alte und neue Bekannte ihr Stelldichein gaben. Am Sonntag hieß es dann schon wieder Abschied nehmen und über Hamburg (wo die Regenhardt-Solanos am Flughafen mit den letzten Mitbringseln warteten, die es noch über den großen Teich schaffen sollten), Madrid und Santa Cruz ging es zurück nach Cochabamba.
Dort hatte sich blöderweise Leonies Zeh erneut entzündet. Die vom Arzt verordnete Antibiotika-Behandlung bekam ihr nicht wirklich gut und so deutete alles darauf hin, dass sie erneut unters Messer musste – dieses Mal behandelt von Dr. Dorado, dem güldenen Doktor, zufällig der Gatte der Schwester einer guten Freundin aus Cochabamba, also ein Mann des Vertrauens. Leonie konnte daher auch nicht an den ausgedehnten Wanderungen von Luka und Nadine teilnehmen, die die beiden fast schon traditionell nach dem Frühstück in die Berge rund um unser Haus führten.
21. Januar 2019
Kaum war Daniel in Cocha angekommen, verabschiedeten sich Miriam und Nadine auf einen Trip in die Subtropen – genauer gesagt nach Rurrenabaque, wo sie ein paar Tage lang fernab jeglicher Whats-App-Nachrichten und sonstiger Social-Media-Einflüsse den Fischen beim Spaddeln, den Affen beim Herumturnen und den sonstigen BewohnerInnen des Regenwaldes bei ihrem vielfältigen Treiben zusehen wollten.
Übrigens ist es ein Irrglaube, dass es dort immer noch quasi unbekannte Weiten gibt, die es zu erkunden gilt. Man könnte es schon fast bedauern, dass mittlerweile auch in Lateinamerika kaum noch einen Flecken „unerobertes“ Stück Natur existiert, in dem die Menschen so leben können, wie sie es seit Ur-Zeiten tun. Wenn dann doch einmal einer dieser angeblichen Neo-Eroberer im deutschen Fernsehen auftritt und von seinen Abenteuern erzählt, hat das zwar einen neo-kolonialistischen Touch, den gewisse Menschen vielleicht sexy finden, aber nichts mit der Wirklichkeit der hier lebenden Menschen zu tun. Der Drang, auch im 21. Jahrhundert noch neue Gefilde zu entdecken, mag von einem romantisch-sich-selbst-verwirklichenden Standpunkt nachvollziehbar sein. Für die Bedürfnisse dieser neuen AbenteurerInnen-Generation kann aber Lateinamerika nichts. Dies nur am Rande ...
Währenddessen vergnügte sich Daniel mit Leonie und Luka im ersten „Jump House“-Trampolin-Park Boliviens in Cochabamba, geführt von einer ehemaligen Siemens-Managerin mit bolivianischem Migrationshintergrund, die sich hier nach ihrem Ausstieg aus dem oberen Management des Münchener Tek-Konzerns für die Ausbildung einheimischer Fachkräfte einsetzt. Eine nostalgische Rückkehr zum „Ressort Regina“ stand auch auf dem Programm.
Dann hieß es wieder einmal Abschied nehmen, dieses Mal von Nadine. Ohne „Taschenmesser-Gate“ und nach intensiven Gesprächen am Check-In-Schalter konnte auch sie entspannt die Rückreise nach Deutschland antreten.
Dann waren die Seemänner nach Wochen der trauten Mehrsamkeit plötzlich wieder zu viert. Nun hieß es, die verbleibenden zwei Ferienwochen angenehm zu verplanen. Ursprünglich sollte das Reiseziel „DomRep“ heißen, doch die bolivianische Airline BoA hatte da andere Pläne gehabt. Und so kam alles anders ...
28. Januar 2019
An einem sonnigen Januarmorgen brachen wir in den wohlverdienten Sommerurlaub auf. Mit dem Bus ging es von Cochabamba zunächst nach Oruro, wo mit einer der labbrigsten Pizzen der Welt im Bauch der „Schnellzug“ nach Uyuni bestiegen wurde mit dem Ziel, den größten Salzsee der Welt zu bereisen.
Die Zugfahrt an sich war schon pittoresk genug: In einem Salon- mit direkt angrenzendem Speisewagen ging es durch die immer karger werdende Steppe, bis sich nach und nach rechts und links der Panoramafenster nur noch grenzenlose Weite blicken ließ - bis zum Horizont. Nach 7,5 Stunden Ruckelzuckel fuhren wir gegen Abend in den Bahnhof von Uyuni ein. Zum Glück hatten wir das Hotel schon gebucht, das praktischerweise direkt neben den Gleisen lag. Kurz noch mit einer der umherlaufenden Safari-Damen den Trip für die kommenden beiden Tage ausbaldowert und erschöpft sanken alle in die Kissen.
Am nächsten Morgen ging es nach einem typisch bolivianischen Hotelfrühstück (weißer Quietschkäse, rosa Wurst und Marmelade – immerhin gab es frischen Kaffee) zunächst zum größten Eisenbahnfriedhof der Welt. Uyuni stand einst ein bedeutendes Eisenbahnbetriebswerk, ein Transportknotenpunkt zwischen den Minen im Landesinneren und den damals noch bolivianischen Häfen an der Pazifikküste. Diejenigen Dampflokomotiven, die es bei der Schließung des Standortes nicht mehr rechtzeitig aus der Stadt geschafft hatten, rotten seit nunmehr fast 100 Jahren vor sich hin.
Danach ging es zum ersten, mittlerweile stillgelegten Salzhotel der Welt mitten auf den See, heute eine Mischung aus Bierschänke und Wallfahrtsort, an dem sich allerlei internationale Reisegruppen wahlweise die Birne zuknallen, berggipfelmäßig vor mitgebrachten Nationalfahnen posieren oder - so wie wir - seltsame Fotos schießen. Das Weitwinkelobjektiv kann man an diesem Ort getrost zu Hause lassen. Nur Godzilla darf natürlich nicht fehlen.
Dann suchten wir mit unserem Jeep das Weite. Der zweite Teil unserer Reisegruppe bestand aus vier höhenkranken Argentiniern, von denen der eine Geburtstag hatte und mit Luka auf den Schultern durch den Salzmatsch tanzte. Durch den einsetzenden Regen wurde der Boden des Sees zu einem gigantischen Reflektor, in dem sich die Wolken spiegelten. Himmel und Erde wurden eins. Nach einem phänomenalen Sonnenuntergang kehrten wir abends in ein schickes Hotel am Rande des Sees ein, komplett aus Salz erbaut, mit knackenden Kaminfeuern und einem Panoramablick auf einen Sternenhimmel, der uns schier die Sinne raubte.
Am Folgetag ging es mit dem Jeep Richtung Süden in die Region Los Lipes. Nach einer Autopanne mitten im Nichts durchfuhren wir eine spektakuläre Vulkanlandschaft, fast menschenleer, nur bewohnt von einigen Alpakahirten und ihren umherhoppelnden Tieren, abgesehen von einer Handvoll kleiner Dörfer. Hier trieben einst angeblich auch die Gesetzlosen Butch Cassidy und Sundance Kid ihr Unwesen.
Nach einer weiteren Nacht in Uyuni ging es dann am Freitag mit dem „Express-Bus“ nach Oruro, der für die Strecke zwar nur 4,5 Stunden brauchte, aber dessen Abfahrt sich derart verzögerte, dass wir dort angekommen fast unseren Anschlussbus nach Chile verpassten, wo wir noch am selben Abend nach weiteren sieben Stunden Fahrt erschöpft, aber glücklich in der Pazifik-Stadt Iquique ankommen sollten.
4. Februar 2019
Endlich wieder am Meer. Es tat einfach gut, nach langer Zeit die salzige Luft zu riechen und zu schmecken, den Wind in den Haaren zu spüren und das Kreischen der Möwen zu hören. Iquique, eine Hafenstadt im Norden von Chile mit rund 200.000 Einwohnern, empfing uns ab dem ersten Moment mit offenen Armen. Angefangen bei der freundlichen Dame vom Ticketcounter am Busbahnhof, die uns bei unserer Ankunft davon abriet, in der Dunkelheit das Terminal zu verlassen und uns kurzerhand mit ihrem Smartphone ein Uber-Taxi bestellte. Oder die freundlichen Menschen, die uns zweimal spontan Geld schenkten, als wir ohne einen Penny in der Tasche auf der Suche nach einem Geldautomaten waren. Bis hin zu der Henna-Tattoo-Frau, die Daniel mindestens fünf Mal einen Anker auf den Arm pinselte, weil er diesen wiederholt unbedachterweise in sein T-Shirt geschmiert hatte.
Zwar hatte das Hotel unsere Buchung durcheinander gebracht und wir mussten die ersten beiden Nächte in einem kleineren Zimmer verbringen. Doch als uns am nächsten Morgen dann angeboten wurde, auf der Dachterrasse im 23. Stock mit Blick über die Stadt, den Strand und den Ozean als Kompensation für das Zimmerchaos die gesamte Woche gratis zu frühstücken, war das Urlaubsglück komplett an einem der entspanntesten Surfer-Hotspots der Welt.
Eigentlich waren alle Tage gleich: Aufstehen, den Bauch vollschlagen, die Bodyboards unter den Arm klemmen, zum Strand schlendern, unseren bei Doña Erlinda für die ganze Woche gebuchten Sonnenschirm aufsuchen, Surfen, Wellenbaden und von umherziehenden HändlerInnen angebotene Snacks und Drinks genießen (wie frische Obstsalate, knusprige Pizzen, duftende Empanadas oder Mojitos, die von Exil-Kubanern in kleine Plastiktüten verpackt angeboten wurden).
Dann am späten Nachmittag zurück ins Hotel, Duschen und in eines der vielen extrem köstlichen Restaurants einkehren - ob mezze beim Griechen, Sushi beim Japaner, Burger beim Chilenen oder ceviche beim Peruaner. Aus aller Welt lebten hier die Menschen entspannt zusammen, auch eine große bolivianische Community war vertreten, die trotz der politischen Konflikte ihrer Regierungen friedliche Nachbarschaft mit den Chilenen pflegten. Nach dem Essen schlenderte dann die halbe Stadt am Strandboulevard entlang, wo Künstler aus aller Herren Länder ihre Waren feilboten.
Derart tiefenentspannt stiegen wir am Freitag wieder in den Bus mit dem Ziel, Cochabamba am nächsten Morgen gegen 4 Uhr zu erreichen. Leider hatten wir die Rechnung ohne die Regenzeit gemacht, denn starke Niederschläge hatten den Grenzübergang bei Arica im Norden unpassierbar gemacht, sodass alle Busse von dort über Iquique nach Bolivien fahren mussten. Dadurch war „unser“ Grenzübergang bald hoffnungslos überlastet und schloss seine Pforten, bevor wir ihn passieren konnten. Die Folge war eine ziemlich anstrengende Nacht im Reisebus auf rund 3.700 Metern an der bolivianisch-chilenischen Grenze. So waren wir ziemlich durch, aber durchaus in guter Stimmung, als wir endlich am Samstagnachmittag wohlbehalten wieder in Cochabamba ankamen.
11. Februar 2019
„All I need is a little time
To get behind this sun and cast my weight
All I need is a peace of this mind
Then I can celebrate“
(Air)
Zurück im Alltag. Die Schule begann am Montag für Leonie und Luka, Daniel musste nach Sucre für einen Teamworkshop, Miriam fuhr ihren alltäglichen Weg zur Arbeit. Alles beim Alten? Mitnichten. Zwei Monate abseits des üblichen Alltags hatten ihre Spuren hinterlassen. Noch zwei Jahre in diesem Rhythmus? Und die Kids? Würde das Ganze auch weiterhin in ihrem Sinne sein?
Daniel wurde auf dem Weg in Richtung Sucre vom Regen aufgehalten, der mittlerweile in Massen auf Bolivien fiel. Wartezeiten am Flughafen. In Bolivien ist es üblich, zusätzliche Wartezeiten spontan auf der Check-In-Tafel anzuzeigen. Mit einem halben Tag Verspätung kam Daniel in Sucre beim Teamworkshop an.
Dort warteten schon Bene, Britta und Heiko, Daniels Kollegen vom WFD. Es wurde ein durchaus intensiver Austausch, wobei die Seminarleiterin Annett geplagt von Zweifeln ob der Zuverlässigkeit der bolivianischen Airlines während der Regenzeit den Workshop früher beendete und zum Flughafen aufbrechen wollte. Daniel erklärte sich spontan bereit, sie mit „Rocko“ (so hatte er seinen Dienstwagen, einen Toyota Hilux, mittlerweile getauft) dorthin zu bringen.
Doch es gab fast kein Durchkommen. Der Regen hatte die Straßen mit Steinen und Geröll gepflastert und fiel weiterhin in Strömen. Obwohl sich einige wackere Arbeitertrupps daran machten, den Schutt beiseite zu räumen, glich die Fahrt eher einem Slalom als einem entspannt dahingleitenden Ritt auf einem der besten Fahrzeuge, die der Offroad-Bereich zu bieten hat. Well, nevermind. Annett verpasste trotzdem ihren Flug, bekam aber noch einen Platz im nächsten.
Daniels Flug am kommenden Morgen nach Tarija ging planmäßig. Von dort ging es noch einmal rund 1,5 Stunden Richtung Süden, in die Nähe der Grenze zu Argentinien. Hier sollte das erste Treffen aller MitarbeiterInnen von ACLO stattfinden - es wurde ein voller Erfolg.
Nicht nur, dass die umliegenden Gemeinden mit eingeladen wurden - jedes Regionalbüro von ACLO hatte darüber hinaus für den ersten Abend einen für die Region typischen Tanz vorbereitet, der unter lautem Gejohle der Anwesenden dargeboten wurde. Es gab einen „Markt der Möglichkeiten“, bei dem sich die verschiedenen Projekte von ACLO vorstellten - und vor allem: SPORT!
Daniel wurde sowohl von der Basketball- als auch von der Fußballmannschaft der Generaldirektion ausgewählt, beim Wettbewerb mitzumischen. Unterstützung bekam seine Mannschaft vom ACLO-Regionalbüro aus dem Chaco, einer steppenähnlichen Gegend im Osten Boliviens, in dem sich das indigene Volk der Guaraní seit Jahrhunderten Eindringlingen erwehrt. Durch die Verstärkung durch derart kampferprobte Männer und Frauen hätte es beim Basketball FAST zum Titel gereicht. Beim Fußball war es dann soweit: Nicht nur wurde der hoch gehandelte Favorit FC Chuquisaqa geschlagen, auch der Finalgegner Partisan Tarija musste Federn lassen. Am Ende war alles gut – und das Siegerbier floss in Strömen ...
18. Februar 2019
"Every age has its turn
Every branch of the tree has to learn
Learn to grow, find its way,
Make the best of this short-lived stay
Take this seed, take this spade
Take this dream of a better day
Take your time, build a home
Build a place where we all can belong
Some things change, some remain
Some will pass us unnoticed by
What to focus on, to improve upon
In the face of our ancient tribes
Feels so clear, feels so obvious
To each one on their own
But we are here, together
Reaping what time and what we have sown
We don't choose where we're born
We don't choose in what pocket or form
But we can learn to know
Ourselves on this globe in the void
Take this mind, take this pen
Take this dream of a better land
Take your time, build a home
Build a place where we all can belong"
(José González)
25. Februar 2019
Bei einer Fahrt neulich mit dem Auto durch Cochabamba traute Daniel seinen Augen nicht: Plötzlich scherte ein Porsche Cayenne in die Spur vor ihm ein, auf der Rückscheibe einen großen Reichsadler mit einem fetten Hakenkreuz darunter. An beiden Seiten des SUVs waren außerdem Deutschland-Flaggen aufgeklebt. Das gibt’s bestimmt nicht mal in Sachsen ...
Als der Wagen in eine Parklücke fuhr, hielt auch Daniel sein Auto ein paar Meter weiter an und machte sich auf den Weg zurück. Als er sich in das offene Seitenfenster des Porsches beugte, saß darin ein dicker, deutlich nicht-arischer Mann und glotzte ihn überrascht an. Als Daniel ihn auf Deutsch fragte, ob er wisse, was das für ein Symbol dort auf der Windschutzscheibe sei, sagte der Fahrer auf Spanisch, dass er Daniels Sprache nicht verstehe.
In dessen Landessprache machte Daniel den verdutzten Mann dann darauf aufmerksam, dass es sich dabei um ein in Deutschland als verfassungsfeindlich geächtetes Symbol handeln würde. Er freue sich zwar, dass er Daniels Heimatland Sympathie entgegenbringe und dessen Landesfarben durch die Gegend fahre. Doch wären sie bei ihm zu Hause, würde Daniel ihn jetzt anzeigen und dann ginge es erstmal ins Gefängnis. Der Mann stammelte, er hätte den Porsche so gekauft und von der Problematik nichts gewusst.
Dies ist allerdings kein Einzelfall in einem Land wie Bolivien, wo es NS-Kriegsverbrecher wie Klaus Barbie nach ihrer Flucht aus Europa einst sogar bis ins bolivianische Innenministerium geschafft hatten. Es gibt sehr gut organisierte Neonazi-Gruppen, deren Mitglieder teilweise direkt von ehemals aus Deutschland emigrierten Nazis abstammen. Doch in den meisten Fällen wie bei dem Porsche- oder dem ein oder anderen Taxifahrer, der mit fettem Hakenkreuz auf der Heckscheibe durch Cocha oder Potosí fährt, ist es wohl einfach nur Dummheit.
Es gab aber auch gute Nachrichten in dieser Woche zu berichten: In der Schule der Kinder fingen endlich die Nachmittagskurse an. Luka wurde in die U11 der Fußballabteilung „berufen“ und spielt fortan auch in der Schach-AG bei den Viertklässlern mit. Leonie wählte „Modern Dance“ und den „Art Club“ als AGs.
Zu guter Letzt lernte Daniel auf seiner Arbeit in Sucre endlich den Nachfolger von Mario, seinem bisherigen „Gegenüber“, kennen: José Antonio, junger, motivierter Vater einer Tochter, passt mit seiner mitreißenden Art perfekt zu ihm, was für die weitere Zusammenarbeit sicherlich nur Gutes bedeuten kann.
4. März 2019
„No hay que llorar
que la vida es un carnaval
es mas bello vivir cantando
no hay que llorar
que la vida es un carnaval
y las penas se van cantando“
(Celia Cruz)
Der Karneval in Lateinamerika ist ja so eine Sache: Während in Deutschland Narren und Närrinnen bonscheschmeißend und schunkelnd durch die Straßen ziehen, geht es hier nicht weniger enthemmter, aber durchaus dezidierter zur Sache, um sich die bösen Geister auszutreiben, die sich im Laufe eines Jahres breitgemacht haben.
Wir entschieden uns, das Ritual in Santa Cruz zu vollziehen. Nicht der Familie wegen, sondern weil der dortige Karneval den Ruf hat, noch nachhaltiger zu wirken als die berühmte Sause in Rio de Janeiro – und das will was heißen. Kurzerhand wurden Leonie und Luka bei den Großeltern „geparkt“. Die Freude war ganz beiderseits, stand den Kids doch ein Wochenende mit Naschi-, Film- und Freibad-Flatrate ins Haus, während Miriam und Daniel ein Vier-Tage-Ticket für das berühmt-berüchtigste Karneval-Festival der Stadt gebucht hatten.
Das Ganze war nicht ganz billig, dafür gab es All-You-Can-Drink-And-Eat sowie diverse lateinamerikanische Stars und Sternchen mit exklusiven Gesangseinlagen auf einem extra abgezäunten Festivalgelände. Begleitet von Miriams Schwester Ceci, ihrem Mann Ale, Miriams Bruder Andres und ihrem Cousin LuisFer sowie diversen anderen Feiergestalten ging es am Sonnabend zunächst zum großen Karnevalsumzug mit Plastikstuhl-Landschaften direkt am Straßenrand. Die Gruppe war vom Veranstalter traditionell mit speziellen Karnevalsoutfits ausgestattet. Dazu gehörte ein wasserdichter Brustbeutel für Handy und Bargeld sowie Kopftücher gegen die heiße Sonne der Subtropen. Doch just als die Karnevalskönigin vorbeidefiliert war, fing es leider wie aus Kübeln an zu schütten, sodass alle Anwesenden fluchtartig das Areal verließen.
Daniel musste kurz austreten und verschwand für einen kurzen Moment – eine fatale Entscheidung. Der Regen wurde so stark, dass alles dahinzufließen schien. Die Feiergesellschaft rettete sich in einen Citybus, nicht ohne mit Erschrecken festzustellen, dass Daniel nicht mit eingestiegen war. Dieser irrte ohne Kohle und Handy (beides hatte Miriam an sich genommen) durch die Straßen, fand schließlich ein Taxi sowie einen durchweichten Zwanni in seiner Hosentasche und verschwand in der Nacht.
Als er das Haus der Familie erreichte, wusste er nicht, dass die anderen mittlerweile verzweifelt nach ihm suchten. Als er schließlich mit dem Handy seines Schwiegervaters Miriam erreichte, war diese schon auf dem Weg nach Hause. Trotz alledem war die Erleichterung groß, als am Ende alle wohlbehalten in die Kissen sanken.
Am nächsten Tag begann das eigentliche Festival. Am frühen Nachmittag trudelten nach und nach die Menschen auf dem Gelände ein, DJ Micki brachte sein Pult zum Qualmen und das Gratis-Pils floss in Strömen. Die Sonne brannte gnadenlos, Reggaeton war der Sound der Stunde. Mit der Zeit wurde es immer unübersichtlicher, wer eigentlich gerade mit wem zum Boombastik-Sound durch die Bierpfützen waberte. Der Auftritt der Latino-Granden-Band „Bazillus“ geriet dabei fast schon in den Hintergrund. Menschliche Pyramiden bauten sich auf, Raketen stiegen in den Tropenhimmel, bis irgendwann der Vorhang fiel.
Am Montag ging das Spiel nach einem ausgedehnten Familien-BBQ von vorne los, mit dem Unterschied, dass alle auf den Auftritt des kolumbianischen Reggaeton-Königs Sebastián Yatra hinfieberten. Als dieser endlich die Bühne erklomm, war das Chaos perfekt. Alle Songs wurden mitgesungen, die Menge wogte, irgendwann war das Bier alle und stattdessen wurden gigantische Piña-Colada-Flaschen herumgereicht. Der Vorhang fiel erneut – und die meisten der Umstehenden auch.
Eigentlich ging es am Dienstag noch weiter mit der Feierei, doch die Seemänner mussten ihre Koffer packen und zurück nach Cochabamba fahren, denn Leonie und Luka hatten am nächsten Tag wieder Schule. „Was auf dem Karneval passiert, bleibt auch dort“, wurde ihnen noch nachgerufen. Ein gutes Motto, um in den Tagen danach innerlich gereinigt zu versuchen, wieder in den Alltag zurückzufinden. Einige, so heißt es, sind dort bis heute noch nicht angekommen.
11. März 2019
"Du wirfst dich hinein
in das Licht dieser Welt
dann fängst du an zu schreien,
es kommt ein Mensch der dich hält
und die Liebe, die du spürst,
wirst du nie wieder verlier'n
sie ist für dich da, bis der Vorhang fällt
Und denk immer dran:
Selbst wenn das Unglück dieser Welt
mal auf deine Schultern fällt
ein neuer Tag wartet schon auf dich
am Ende jeder noch so langen Nacht"
(Gisbert zu Knyphausen)
Miriam ist 40 geworden – und das ganze Dorf war da. Die Mitte des Lebens erreicht – oder doch nur ein Drittel? Wir werden immer älter, jeden Tag ein Stück. Die Frage ist nur, ob wir nicht irgendwann durch die Neuerungen der Medizin so alt werden, wie wir es niemals für möglich gehalten hätten. Aber das nur am Rande.
Den 40. Ehrentag feiern – und das in Bolivien! Miriams größtes Geschenk an diesem Tag war dabei der Besuch der Familie aus Santa Cruz - und vor allem das Geschenk ihrer Schwester Ceci: Ein Schwestern-Wochenende zu zweit! Mal sehen, wo es die beiden so hintreibt ...
Der Tag begann mit einem ausgedehnten Mittagsgelage – neben den „Cruzeños“ war mittlerweile auch Besuch aus La Paz und Sucre eingetroffen, und auch die Familienmitglieder aus Cocha selbst waren am Start. Unweit der Stadt in einem kleinen Dorf namens Apote betreiben eine Italienerin und ihr bolivianischer (Koch-)Ehemann ein kleines, aber feines Restaurant. Dort kehrten wir ein und ließen es uns schmecken.
Zurück in Cochabamba transformierte sich unser Haus in einen Party-Hotspot. Es gab Longdrinks von Barmann David, der sichtlich seinen Spaß daran hatte, die verschiedenen Zutaten zu immer neuen Kreationen zu vereinen. Das Bier floss in Strömen – eine Brauerei aus der Stadt hatte uns trefflich mit Fässern verschiedenster Biergattungen samt Zapfanlage versorgt. Die Reaktion der Gäste war gelinde gesagt schier überschäumend.
Als DJ hatten wir Mista Spotify gebeten, die entsprechenden Soundz zu liefern. Es gab das obligatorische Tischfußball-Turnier (bei dem das "Team St. Pauli" leider verlor – ein Omen?) und die letzen Gäste verabschiedeten sich morgens um 5 Uhr von der Tanzfläche. Oh what a night!
Kaum hatte sich der Nebel gelichtet, gab es auch schon das nächste große Ding: Der HSV schlug St. Pauli zu Hause beim Hamburger Stadtderby tatsächlich mit 4:0 – oh wie war das schön, so was hatte man lange nicht geseh’n!
18. März 2019
Die Eröffnung der Sportsaison an der AISB stand an: Alle Schüler und Schülerinnen waren angehalten, ihr Sportoutfit anzuziehen. In Lukas Klasse folgten auch alle der Maßgabe – alle bis auf einen, der leuchtend blau aus der Menge der Drittklässler herausstach. Diesen Hang zur Rebellion muss der junge Mann irgendwoher haben – vom Vater sicherlich nicht ...
Am Wochenende hatte Luka dann Übernachtungsbesuch von seinem besten Freund Amaru, Sohn deutsch-peruanischer Eltern, die auch in Cochabamba leben. Statt vor der Playstation zu hängen spielten die beiden ausgiebig Schach. Zur Belohnung für derart hohen Synapsen-Output gab es dann erstmal einen DVD-Abend auf dem Breitbandbildschirm im Wohnzimmer. Ausgleich muss sein ...
In Sucre fand der erste Workshop statt, den Teilnehmer von Daniels Fortbildungen aus dem letzten Jahr veranstalteten. Natürlich brachten sie ihren ganz eigenen sabor boliviano bei der Organisation der Veranstaltung mit ein. Und so ließen sich zwar noch einige elementare Grundzüge dessen erkennen, was Daniel ihnen beigebracht hatte, ansonsten hatte aber alles seinen ganz eigenen Geist. Und das war auch gut so.
Und sonst? Der bolivianische Herbst hielt Einzug in unsere vier Wände. Bei Temperaturen von um die 25 Grad ließ sich der allerdings ganz gut aushalten. Unterbrochen wurde die Idylle nur von sich ergiebig ergießenden Unwettern, die über den Talkessel von Cochabamba hinwegzogen. Der Starkregen in Hamburg ist dagegen ehrlich gesagt nur ein feuchter Traum.
25. März 2019
Die Woche begann mit dem „Dia del Padre“ in der AISB: Alle Väter, Vaterfiguren, Opas und sonstwie gearteten männlichen Bezugspersonen der Schüler und Schülerinnen versammelten sich am Morgen zum lockeren Frühschoppen auf dem Schulgelände. Eine Band spielte irgendwas mit Blues und Daniel traf seine alte Fußballmannschaft wieder, die ihn sofort für die nächste Saison verpflichtete.
Derart euphorisiert schloss er sich der jubelnden Menge an, die den Darbietungen der Kinder lauschte. Da gab es alles, von unkoordiniert durcheinander hopsenden Vorschülern bis hin zu perfekt durchchoreographierten Tanz-Darbietungen der älteren Semester. Luka und Leonie waren natürlich auch dabei. Wenn man sich manchmal an die eigenen Darbietungen im schulischen Rahmen und das damit einhergehende, oft seltsam flaue Bauchgefühl erinnert, beeindruckte dann doch die unbedingte Ernsthaftigkeit, mit der dies alles vorgetragen wurde.
Mitte der Woche verschlug es Daniel dann einmal wieder ins schöne Tarija, wo ein Treffen aller MitarbeiterInnen von ACLO stattfand. Sinn und Zweck des Treffens war, sich gegenseitig das im letzten Jahr Gelernte in Sachen Konflikttransformation zu zeigen. Ein voller Erfolg, auch wenn die Hälfte der Eingeladenen fehlte – aber dit is Bolivien!
Miriam war unterdessen nach La Paz gereist: Dort treffen sich alljährlich alle GIZ-EntwicklungshelferInnen des Landes und stellen ihre Projekte vor, in denen sie tätig sind. Dieser Austausch über gemeinsame Herausforderungen in den jeweiligen Partnerorganisationen ist durchaus bereichernd für alle Beteiligten – vor allen Dingen im Rahmen der abendlichen Social Events, die auf rund 4000 Metern Höhe ihren ganz eigenen Reiz haben, wenn der Singani die rauen Kehlen der Dürstenden in rauschenden Sturzbächen hinabfließt.
Kaum zurück in Cocha ging es für Miriam gleich mit dem nächsten Highlight weiter: Ein Kurs zum Thema „Wasserqualität-Monitoring“ stand an. Dazu waren eigens Experten aus Mexiko im Rahmen des deutsch-bolivianisch-mexikanischen Kooperationsprojektes TRINEXO der GIZ eingeladen worden, die verschiedene Analyseprogramme vorstellten.
Sehr technisch und anspruchsvoll, hatte der Kurs durchaus einen aktuellen Bezug: Denn wer jemals in Cocha aus dem Flugzeug gestiegen ist, riecht ihn sofort – den Rio Rocha. Irrtümlich für eine fehlgeleitete Flatulenz des Sitznachbarn gehalten, sind es eher die Dämpfe, die dem durch die Stadt fließenden Fluss entsteigen und den Geruchssinn irritieren. Hier weiterhin Daten zu erheben, um die eklatante Verschmutzung der für Cocha so lebenswichtigen Wasserader nachzuweisen, ist nach wie vor unabdingbar.
Am Wochenende stand dann noch der Geburtstag von Lukas Schulkumpel Gustavo an, mit dem er auch in der Fußballmannschaft unseres Stadtviertels spielt. Das Motto des Events war natürlich – Fußball. Den ganzen Nachmittag, fünf Stunden lang. Manchmal kann es so einfach sein, Kindergeburtstage zu organisieren ...
1. April 2019
Miriam war mal wieder in La Paz unterwegs und musste so einige Höhenmeter auf ihrem Weg vom Flughafen auf rund 4.100 Metern zum Hotel ein paar hundert Meter darunter bezwingen. Mit dem téleferico ist das aber mittlerweile kein Problem mehr: Österreichische Ingenieure waren dereinst im Auftrag der bolivianischen Regierung dazu verdingt worden, das größte zusammenhängende Seilbahnnetz der Welt zu errichten. Und wie sie das taten …
Mittlerweile bilden zehn Seilbahnen das Rückgrat des öffentlichen Nahverkehrs in La Paz. Vor allen Dingen die ärmeren Menschen aus dem oberhalb der Hauptstadt gelegenen Stadt El Alto, wo auch der Flughafen beheimatet ist, profitieren von den niedrigen Fahrpreisen und den stark verkürzten Fahrzeiten in die niedriger gelegenen Gegenden, wo die meisten von ihnen arbeiten. Vor fünf Jahren wurde die erste Linie eröffnet - die zehnte gerade erst im März.
Währenddessen war Daniel mit seinem Dienstwagen auf dem Weg zu einem ganz anderen Ort: Potosí. Auch hier ist es gebirgig, die Fahrt zu dieser entlegenen Minenstadt in den Tälern des gleichnamigen Bundesstaates dauert von Sucre aus ungefähr 2,5 Stunden. Unweit von Potosí, in einem Ort namens Miraflores, sollte der erste Workshop der dortigen ACLO-Kollegen stattfinden.
Dort gaben sich die Funktionäre die Klinke in die Hand: Sowohl der Erste Sekretär des Journalistenverbandes nebst der Dekanin der potosinischen Fakultät für Kommunikationswissenschaften waren vor Ort. Daniel durfte auch ein paar Worte sagen, dann wurden die beiden ehrenwerten Gäste in ein Sammeltaxi gesteckt und fortan gehörte die Bühne den JournalistInnen aus dem Andenhochland.
Permanent machte eine grüne Plastiktüte die Runde. Dessen Inhalt wurde von den Anwesenden Blatt für Blatt genüsslich weggeknabbert und das so zusammengekaute Coca-Pflanzengemisch anschließend hamstergleich in der Backe verwahrt. Der daraus durch kontinuierlichen Speichelzufluss entstehende grüne Saft entfaltet über die Mundschleimhäute dann direkt seine aufputschende Wirkung. Vom Geschmack her irgendwo zwischen Tonerde und Blattgrün – es gibt auch leckere Pflanzen.
Der Rückweg führte direkt von Miraflores zum Flughafen von Sucre. Das hörte sich leichter gesagt an als getan, denn Daniels Wegbegleiter Pedro meinte plötzlich an einem Flussbett, hier würde die Abkürzung den Berg hochführen. Da war aber kein Weg, nur Schotter, und sogar der Hilux kam an seine Grenzen. Eine marodierende, den Weg versperrende Hundemeute später ging es dann tatsächlich steil bergauf bis zum Flughafen. Im 1. Gang, mit Vierradantrieb und ein paar hundert PS unter der Haube - so macht Offroad Spaß!
In Cocha angekommen blieb nicht viel Zeit, um die Kinder zu begrüßen, denn am nächsten Morgen ging es für Daniel und Miriam das Wochenende über in die Präsidenten-Suite eines vor Kurzem eröffneten Fünf-Sterne-Deluxe-Hotels – kleine Aufmerksamkeit zum 40. Geburtstag. Und bevor jetzt hier die ersten Verdachtsmomente aufkommen, Entwicklungshelfer würden wie Gott in Frankreich leben, werden weitere Details der Phantasie überlassen. Nur so viel: Es war einfach hammergeil!
8. April 2019
In dieser Woche war nicht viel los - aber solche Tage muss es ja auch mal geben.
Am Wochenende war Luka bei seinem Freund Gustavo zu Gast. Die Familie besitzt ein Haus mit einem großen Garten in Quillacollo, einer Kleinstadt in der Metropolregion von Cochabamba. Der Dritte im Bunde war Lukas Kumpel Adrián. Es gab Fußball und Wasserschlauch-Spiele bis zum Abwinken und ein glücklich-ausgelassen spielendes Jungs-Trio.
Währenddessen war Oma Sarah aus Santa Cruz eingetroffen – und das aus besonderem Grund: Daniel machte sich auf nach Guatemala zur Regionalfachtagung des Zivilen Friedensdienstes und Miriam hatte eine Delegation aus Mexiko zu Besuch, die sich das hiesige Wassermanagement anschauen wollte. Da blieb wenig Zeit für die Kinder und durch Sarahs Präsenz konnten sich beide mit ruhigem Gewissen auf ihre jeweiligen entwicklungspolitischen Begegnungsszenarien einlassen. Schon toll, so ein internationales Großeltern-Netzwerk.
15. April 2019
Daniel flog über Santa Cruz und Bogota nach Guatemala, zusammen mit Heiko und Britta aus seinem Team. Gleich am ersten Abend gab es ein feierliches Abendessen, zu dem auch der GIZ-Chef von
Guatemala eingeladen war. Neben den anderen ZFD-Mitarbeitern aus Guatemala, Mexiko, Honduras und Bolivien war auch Daniels Chef Bela vom WFD aus Deutschland angereist.
Am nächsten Tag schaute sich die bunte Truppe einige Projekte in der Hauptstadt an, die meisten zum Thema Erinnerungskultur. Guatemala leidet bis heute unter den Folgen einer insgesamt 36-jährigen Diktatur, die mehr als 200.000 Tote forderte und rund eine Million Menschen zu Flüchtlingen machte. Am späten Nachmittag ging es dann nach Antigua, die alte Hauptstadt des Landes. Hier sollte eingerahmt von teilweise noch aktiven Vulkanen und dem besonderen Flair der alten Kolonialstadt die eigentliche Konferenz stattfinden.
Am Dienstag war dann auch die Deutsche Botschaft in Person des BMZ-Referenten anwesend, der nach kurzer Zeit sein Redeprotokoll aus der Hand legte und spontan über sein Leben in Guatemala weiterplauderte, was seinem Vortrag anders als erwartet eine sehr persönliche Note verlieh. Währenddessen konnten die Anwesenden per Smartphone ihre Fragen an die Wand posten - ganz schön interaktiv das Ganze.
Den Rest er Woche war dann „Open Space“ angesagt – eine Organisationsform, bei der die Konferenzteilnehmer Workshops, Selbsterfahrungskurse z.B. zum Thema „Der Macho in mir“ und Vortragsrunden anbieten. Der obligatorische „Markt der Möglichkeiten“, bei dem sich alle vertretenen Projekte an Ständen wie auf einem Marktplatz präsentieren, rundete das Happening dann ab. Dazu gab es abends Vorführungen lokaler Theatergruppen, Konzerte und zufällig war auch noch "Semana Santa": Zu Ostern werden in Antigua traditionell farbenprächtige Prozessionen durchgeführt, die in der Woche zuvor akribisch auf den Straßen und Plätzen vorbereitet werden.
Zurück ging die Reise über San Salvador, Lima und Santa Cruz zurück nach Cochabamba. Einmal mehr stellte sich Daniel die Frage, wie es sein konnte, dass ein so zentral in Südamerika gelegenes Land wie Bolivien über so wenige direkte Flugverbindungen ins Ausland verfügt.
Alldieweil hatte Leonie ihren ersten großen Auftritt mit ihrer Modern-Dance-Gruppe zu Ehren eines 8-jährigen Malers in Cochabamba, der mit seiner Kunst in Bolivien gerade für Furore sorgt. Außerdem feierte sie zusammen mit Luka und Oma Sarah den Día del Niño, dem lateinamerikanische Äquivalent zum Mutter- und Vatertag, bei dem sich die Lütten ganz offiziell den lieben langen Tag den Bauch mit Süßigkeiten vollschlagen dürfen.
Miriam hatte Mexiko zu Gast in Bolivien: Vier Mexikaner wollten sich in Cochabamba die Talsperre Misicuni mit einem Wasserkraftwerk oberhalb der Stadt anschauen, für die Miriams GIZ-Projekt zuständig ist. Der gegenseitige Austausch zum Thema Wasserverteilung lief derart gut, dass Miriams Team zu einem erneuten Gegenbesuch nach Mexiko eingeladen wurde, der im Juli stattfinden soll.
22. April 2019
"Im Supermarkt fiel es mir auf:
Ich will nicht zurück nach Haus.
Das Wechselgeld nehm' ich noch an,
dann nehme ich Reißaus.
Die Tasche mit den Aufbackbrötchen
stell ich einfach aufs Trottoir.
Die Tasche der Person,
die ich eine Zeit lang war.
Einst ging ich in diesen Ort hinein,
nun geh ich aus ihm heraus.
Beim Blumenladen bieg ich ab,
und geh dann immer geradeaus.
Das positive Brötchenessen,
das positive Sektchentrinken,
ich halt es nicht mehr aus.
Ich will zurück dahin, wo ich nie war."
(Erfolg)
Miriam war in dieser Woche ohnehin wieder beruflich in La Paz unterwegs, die Kids hatten vor dem Osterwochenende zwei Tage frei und so machte sich Daniel von Cochabamba aus auf den Weg in die Hauptstadt – einfach mal wieder raus aus dem Trott, zur Abwechslung mit dem Auto. Über Oruro ging es auf der bolivianischen Autobahn immer geradeaus bis nach El Alto und dann ein paar Hundert Meter runter in die City.
Dort hatte Miriam bereits ein Hotel reserviert und wartete auf die Reisenden. Kurz eingecheckt und schon ging es mit der Seilbahn Richtung Zona Sur, dem am tiefsten gelegenen Stadtteil von La Paz. Dieses erhebende Gefühl, lautlos über die Dächer zu schweben, umgeben von über 6.000 Meter hohen Bergen, ist ein durchaus erhebendes Gefühl.
Angekommen im Süden pflanzten sich Daniel, Leonie und Luka in ein Café und warteten dort, bis Miriam mit ihrem letzten Termin fertig war. Dann ging es erneut zurück mit der Seilbahn kreuz und quer durch die hereinbrechende Nacht bis zum Hotel, wo alle erschöpft in die Federn fielen.
Eigentliches Ziel der Reise waren die Yungas, eine von La Paz aus nur über einen fast 5.000 Meter hohen Pass erreichbare Region, die den natürlichen Übergang zwischen den Hochanden und dem Amazonasgebiet darstellt. In dieser Höhe hängte sich dann auch schon mal das GPS auf. Aber alles kein Problem, denn wieder ging es immer geradeaus über gut ausgebaute Straßen, dem Tiefland entgegen.
In dieser Region wird neben Coca auch ein im ganzen Land berühmter Kaffee angebaut. Das subtropische Klima trägt sein übriges dazu bei, dass viele Urlauber aus der Hauptstadt hierherkommen und sich eine Auszeit nehmen. Dank Vierradantrieb kamen wir an einer Eco Lodge an, die zwar weder Eco noch Lodge war, dafür aber von einem überaus freundlichen bolivianischen Ehepaar geführt wurde.
Bei landestypischer Vollverpflegung genossen wir drei Tage lang die Natur, inklusive einer fünfstündigen Kletterpartie durch den Dschungel, erfrischend auf uns niederplätschernde Wasserfälle, apokalyptische Riesenschaukeln (auf die sich allerdings nur Leonie traute) und – man höre und staune – einem waschechten Osterfeuer.
Am Ostersonntag blinkten und glänzten plötzlich allerorten Ostereier aus dem farbenprächtigen Dschungel und die Kinder hatten ihren Spaß beim Einsammeln. Während der Rückfahrt nach La Paz wurden auf der Rückbank entsprechend konstant Schokoladeneier und -hasen verputzt was das Zeug hielt. Miriam verließ dort die Familienkutsche und Daniel machte sich mit den Kids auf den Rückweg nach Cocha, das die drei am Abend wohlbehalten erreichten.
29. April 2019
Zeugniswoche - Leonie sahnte einmal mehr die Silbermedaille ab und freute sich wie Bolle. Luka ging zwar leer aus dieses Mal, dafür schoss er bei einem Freundschaftsspiel gegen Tiquipaya zwei Tore und wurde so zum unumstrittenen Matchwinner. Seine Pose nach den geschossenen Toren erinnerte stark an Toni Kroos - aber vielleicht lag das auch nur daran, dass er sich neuerdings die Haare so schön machte wie selbiger Nationalspieler.
Währenddessen vergnügte sich Miriam am Misicuni-Staudamm mit einer Delegation aus Tarija und Daniel verbrachte zwei Nächte mit dickem Kopf bei einem Workshop von ACLO in Potosí auf über 4.000 Metern.
Dies hielt ihn jedoch nicht davon ab, am Samstagabend mit seinen beiden Kollegen Bene und Steffen um die Häuser zu ziehen. Denn vor kurzem hatte just ein Biergarten aufgemacht, wo die Cochabambinos ihr eigenes Bier brauen, und dort trafen sich die drei zum Auftakt eines Abends voller kulinarischer und anderer Köstlichkeiten. Selbiger endete in einem Club der heimlichen Hauptstadt Boliviens, in dem die angeblich berühmteste Bachata-Band der Welt aufspielte. In einem unbeobachteten Moment drangen Daniel und seine beiden Kumpels bis in den VIP-Bereich vor - der Rest ist Geschichte ...
6. Mai 2019
"Diese Tage sind so fern von allem
Hitze und Beton
Die große Stadt, sie liegt da
Wie ein verwundeter Vogel
So auch ich, so auch ich
Ich denke und denke
Wie immer viel zu viel
Immer ist da irgendetwas
Das mich einlullt und mich lähmt
Und ist es nicht die Hitze
Dann meine Dickköpfigkeit
Oder meine dünne Haut
Und ich warte auf den Abend
Und seine kühlende Hand
Unten am Fluss
Mit den Füßen im Sand"
(Gisbert zu Knyphausen)
13. Mai 2019
Er hatte lange drauf gewartet, am Ende die Tage gezählt, und dann war er endlich da: Lukas 9. Geburtstag!
Der wurde natürlich ausgiebig gefeiert - an seinem Ehrentag selber mit einem großen Get-Together in einem gemütlichen Café samt Kletterpark. Großonkel Willi war dabei, natürlich die Seemänner, aber auch Luis, ein Freund der Familie aus Chile und - least, but not last - die beiden kleinen Cousin-Cousinen von Leonie und Luka mit Namen Lukas und Sophia.
Der Tag begann mit der obligatorischen Geschenke-Orgie inklusive Geburtstagskuchen. Highlight war definitiv der WM-Ball, den Onkel Simon auf verschlungenen Pfaden aus Deutschland nach Bolivien geschickt hatte. Wie genau er den bolivianischen Zoll umschifft hat soll für immer und ewig sein Geheimnis bleiben ...
Am Wochenende war dann die große Party mit Lukas Kumpels geplant. Der Plan - genial: Ein privater Bolzplatz mitten in der City, mit Pommes-Kiosk und Geburtstags-Séparée für die Jungs zum Abhängen zwischen den Trainings- und Spieleinheiten, die kein Geringerer als Daniels Kumpel James abhalten sollte, seines Zeichens Torwarttrainer bei Wilstermann, dem Champions-Klub aus Cochabamba.
Leider fing es schon am Morgen in Strömen an zu regnen. An einen entspannten Kindergeburtstag war bei diesem Wetter auf dem unüberdachten Bolzplatz nicht zu denken. Doch der Präsident Boliviens persönlich kam zu Hilfe, wenn auch unbeabsichtigt: Eine populäre Maßnahme der Regierung in den vergangenen Jahren war es gewesen, in fast jedem Dorf des Landes eine überdachte cancha techada zu bauen - einen Bolzplatz mit Dach. Eine davon steht zufällig in der Nähe unseres Zuhauses ...
Ebendort wurden alle Eltern hingelotst und lieferten mehr oder weniger pünktlich ihre Jungs ab - und Luka strahlte wie ein Honigkuchenpferd. James legte sich ins Zeug, Daniel assistierte wie er konnte und so wurde der Nachmittag doch noch zum Erfolg - inklusive Geburtstagstorte zu Hause und Tequila für die Eltern.
20. Mai 2019
„Sieh deine Ansichten
und sieh: sie sind alt.
Erinnere dich,
wie gut sie einst waren.
Jetzt betrachte sie
nicht mit dem Herzen,
sondern kalt.
Und sage: sie sind alt.
Komm mit mir nach Georgia!
Dort, wirst du sehn,
gibt es neue Ideen
Und wenn die Ideen
wieder alt aussehn
dann bleiben wir nicht mehr da.“
(Bertolt Brecht)
27. Mai 2019
"Die Herkunftskultur
verwandelt sich durch einen Umzug,
man kann die Migration
als eine Initation
in andere Wahrheiten ansehen,
durch die man
zu einem anderen Menschen wird als dem, der man vor dem Aufbruch gewesen ist." (Didier Erbon)
Man muss kein Dichter oder Denker sein, um zu verstehen, dass die geografischen Unterschiede zwischen Europa und Südamerika alldieweil zu Irritationen führen - vor allen Dingen bei Europäern, die sich in Gefilde vorwagen, deren Klima nicht dem entspricht, was zu Hause als allgemein bekannt gilt.
So erging es auch Daniel, als er sich ein weiteres Mal in den Chaco aufmachte, um einen Workshop zu besuchen - jene Gegend, die ihm einstmals im Schweiße seines Angesichts in flimmernder Luftfeuchtigkeit fast geisterhaft erschien. Doch dieses Mal war nichts mit gleißender Gluthitze - im Gegenteil.
Es blies der Sur - ein Wind aus den antarktischen Tiefen des südamerikanischen Kontinents, der gerne mal zur Winterzeit auftritt, wenn in Europa der Sommer strahlt. Kaum angekommen, checkte Daniel im "Eco Hotel Gota del Chaco" ein, einem komplett aus recyceltem Material gebauten Etablissements am Rande von Villamontes. Mit einem verschwörerischen Grinsen reichte der in Tierfelle eingehüllte Rezeptionist die Schlüssel über die Theke - warum, das wurde kurze Zeit später klar. Denn Daniel hatte gnädigerweise die Honeymoon-Suite zugewiesen bekommen, die als einziger Raum im Gasthaus über eine Heizung verfügte - neben diversen, dem eigentlichen Anlass angemessenen Spielgeräten wie einem Whirlpool und einem gefederten Trimm-Dich-Gerät, die in den nun folgenden, in bitterer Einsamkeit verbrachten kalten Winternächten auf Daniel doch etwas verloren wirkten.
Der Workshop selbst fand in einem ungeheizten, brüchigen, verstaubten und verdreckten Haus der nicht mehr existenten Kulturbehörde von Villamontes statt. Kulinarisch liebevoll umsorgt von einer Nachbarin, entwickelte sich der Workshop dennoch zu einem vollen Erfolg. Dies lag vor allem an den Teilnehmern und Teilnehmerinnen: Zwei ältere Damen aus dem comité civico der Stadt, eine junge Sekretärin, ein Häuptling der Guaraní (einer indigenen Gemeinschaft, die schon immer den Chaco bevölkert haben, deren Sprache mittlerweile offiziell als und an denen sich sogar die Spanier die Zähne ausbissen) sowie zwei Guaraní-Frauen samt ihrer Kinder. Denn obwohl teilweise noch nicht einmal des Spanischen in Wort und Schrift mächtig, brachten sie sich wortgewaltig ein - übersetzt von ihrem Häuptling. And so it went ...
3. Juni 2019
"Ein Land zieht vorbei am Fenster
Häuser, Autos, ein paar Gespenster
Und ich kriege keinen Frieden
Wie sollte ich ihn jemals
kriegen, kriegen, kriegen
Wir tanzen die ganze Nacht
Und dann hab ich dich angelacht
Denn vor uns liegt immer noch mehr,
als hinter uns
Und wenn uns alles hier
um die Ohren fliegt
Dann hat uns die Liebe besiegt
Und wenn alles in Schutt und Asche liegt
Dann hat uns die Liebe besiegt"
(Trümmer)
#fusion
10. Juni 2019
"Everyday is so wonderful,
and suddenly, it's hard to breathe
Now and then I get insecure,
from all the pain
I feel so ashamed
I am beautiful
no matter what they say
Words can't bring me down
I am beautiful in every single way
Words can't bring me down
So don't you bring me down today"
(Christina Aguilera)
Es war ihr Tag - Leonie und Luka hatten wochenlang traditionelle bolivianische Tänze geübt. Denn das Motto des diesjährigen Dance-Festivals der AISB war nicht etwa international ausgerichtet wie im letzten Jahr, sondern repräsentierte das nationale Repertoire - und das hatte es in sich. Blutrünstige Amaszonas-Krieger und -Kriegerinnen säumten die Bühne, abgelöst von den Teufel konfrontierenden Eisbären und Maskenmenschen bis hin zu Tanzformationen der Indigenen aus dem Hochland - ein Spektakel für Augen und Ohren. Nach fünf Stunden sanken uns die Kinder völlig entkräftet in die Arme und wir brachten sie nach Hause.
Die Nummer wurde natürlich am nächsten Abend backstage-mäßig gefeiert - mit niemand Geringerem als MATAMBA, der Roots-Reggae-Ikone aus Santa Cruz, der zufällig im Lieblingsklub von Miriam und Daniel zu Gast war: der Muela del Diablo.
Es ging hoch her: MATAMBA spielte ohne seine teilweise dezidiert brachiale Metal-Band und die Leute kannten jede noch so kleine Textzeile seiner Lieder. Es kam wie es kommen musste: Daniels Kumpel James zerrte so lange an MATAMBA herum, bis dieser sich zu einem Selfie entschloss. Und damit nicht genug: Zufällig war James mit dem Kollegen zur Schule gegangen, der als Vorgruppe agiert hatte - auch ein cooler Roots-Typ. Und so ergab sich eins zum anderen. Selfies over selfies - aber seht selbst ...
17. Juni 2019
Die Woche fing sportlich an: Leonie und Luka hatten beide zum ersten Mal in ihrem Leben Tennisunterricht an der AISB. Während Luka ganz vom Fußballfieber befallen scheint (bei einem Freundschaftsspiel gegen den FC Tiquipaya schoss er das Golden Goal) und für diese Sportart zunächst kein Interesse zeigte, schien es Leonie von Anfang an zu gefallen - mal sehen, ob diese Begeisterung auch irgendwann in wirkliches Interesse umschlägt.
Am Dienstag wurde Daniel dann mal wieder ein Jahr älter. Der Tag begann mit einem Geschenke-Festival im Seemanschen Zuhause. Dann mussten alle zur Schule bzw. sich an die Arbeit machen und die Zeit plätscherte vor sich hin, nur teilweise kurz unterbrochen von Anrufen aus der Heimat. Abends ging es dann ins Restaurant und - schwupps! - war der Tag auch schon vorbei. Am nächsten Morgen flog Daniel nach Sucre. Dort erwartet ihn dann zu seinen Ehren ein riesiger Berg mit in Pommes badenden Hähnchen-Schnitzeln.
Das Highlight der Woche sollte am Sonnabend folgen: Daniels Kumpel Benedikt hatte an diesem Tag Geburtstag und die beiden feierten zusammen im CoCafé in Cochabamba. Gäste von nah und fern hatten sich angekündigt und nach einem Pizza-Gelage beim besten Italiener der Stadt füllte sich der Feierort zunehmend. Die alte Stereoanlage gab ihr Bestes und der Abend entwickelte sich schnell zu einer rauschenden Festnacht.
Der harte Kern machte sich am Ende auf in die Bar eines Kumpels, halb Grieche, halb Bolivianer, der es sich nicht nehmen ließ, zum glorreichen Abschluss einen Tsirtaki aufzulegen, der sich gewaschen hatte. So endete die Geburtstagswoche im Ouzo-geschwängerten Nebel vor der Fototapete des Peloponnes …
24. Juni 2019
"Well I started out down a dirty road
Started out all alone
And the sun went down
as I crossed the hill
And the town lit up, the world got still
I'm learning to fly, but I ain't got wings
Coming down is the hardest thing
Well the good old days may not return
And the rocks might melt
and the sea may burn
Well some say life will beat you down
Break your heart, steal your crown
So I've started out, for God knows where
I guess I'll know when I get there
I'm learning to fly, around the clouds
But what goes up must come down“
(Tom Petty & the Heartbreakers)
Es war soweit: Nach Monaten der Vorbereitung machte sich Miriams Bruder Andres auf den Weg nach Frankreich zum Studieren. Das musste natürlich gebührend gefeiert werden. Und so reisten die Seemänner geschlossen nach Santa Cruz, um ein letztes Wochenende mit ihm zu verbringen.
Blöderweise hatte Miriams Schwester Ceci vergessen, dass ihr Mann just zur selben Zeit in Cochabamba zu einem Familienfest eingeladen worden war. Und so winkten sich die Schwestern über den Wolken zu, was den Festlichkeiten natürlich keinen Abbruch tat. Im Gegenteil ...
Miriams Vater Adolfo hatte die glorreiche Idee, am Freitag zu einem nahegelegenen Ressort zu fahren, wo man Tennisplätze mieten konnte. Andres suchte sein altes Equipment heraus und so machte sich die Familie auf den Weg. Leonie und Luka hatten ja schon vor kurzem in der Schule geübt und Daniel konnte an die Erfahrung zahlreicher Tennismatches mit seinem Bruder Simon anknüpfen.
Adolfo hatte sein altes Holz-Racket aus seiner Zeit in New York dabei, wo er in den Siebzigern gelernt hatte, die Filzkugeln über den Rasen zu schlagen. Blieb nur noch die Novizin Miriam, die sich in ihrer ersten Tennisstunde aber erstaunlich gut machte. So entstand ein ansprechender Schlagabtausch im gemischten Sextett, bis eine Horde Katenbabys Leonies Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nahm und die Tennisbälle langsam weniger wurden, weil irgendjemand vergessen hatte, ein Netz um den Platz herum aufzuspannen.
Am Sonnabend kam dann Ceci aus Cochabamba zurückgeflogen und der Abend nahm Fahrt auf in der Bar Rota Carlota, wo sie einen Tisch reserviert hatte. Eingerahmt von an Bambusbüschen baumelnden Barbies kreiste der Rum und die Limetten spritzten.
Am Sonntag brachte Andres die Seemänner dann höchstpersönlich zum Flughafen – er sollte sich erst einige Wochen später auf den Weg Richtung Europa machen. Der Abschied fiel schwer – vor allen Dingen Miriam, aber auch Luka, der seinen Onkel schon seit einiger Zeit voll und ganz in sein Herz geschlossen hatte.
Nebenbei feierten Miriam und Daniel an diesem Wochenende ihren 11. Hochzeitstag im einzigen indisch-ayurvedischen Restaurant Boliviens und deckten sich für die kommenden Monate mit allerlei Gewürzen und Marinaden ein, die das Haus in Cochabamba anschließend immer mal wieder in herrlich würzigen Essensdampf tauchte.
Doris Pfeiffer (Dienstag, 20 August 2019 23:40)
Kommentar
Regina und Helmut (Samstag, 09 März 2019 11:39)
Mit großer Freude haben wir den Bericht über unseren Besuch im Dezember 2018 in Cocha gelesen.Für uns werden es unvergeßliche Tage bleiben, gefüllt mit Harmonie, Zuwendung und viel Lachen. Und das Ganze mit einem prachtvoll geschmückten "Tannenbaum" bei 30 Grad. Vielen Dank für die schöne gemeinsame Zeit. Regina und Helmut
Gaby (Mittwoch, 08 August 2018 11:38)
Lieber Daniel,
ich hab mich total über deinen Bericht, gefreut, Danke!! Schön zu wissen, dass es dir und deiner Familie gut geht und ihr anscheinend angekommen seid in euerer neuen Heimat. So viele interessante Erlebnisse werdet ihr nie wieder vergessen.
Liebe Grüße aus Hamburg
Regina und Helmut (Mittwoch, 18 Juli 2018 18:55)
Welch ein aufregender und positiver Bericht! So erhalten wir einen guten Eindruck von Eurem bolivianischen Leben. Keine Frage: Wir kommen!!!
Nadine (Mittwoch, 18 Juli 2018 08:23)
Hey ihr Lieben, DANKE. Das ist ein schöner Bericht und ich geniesse es euch an den unterschiedlichen Orten miteinander und mit all den lieben Menschen zu sehen. Es ist fast wie ein klein bisschen Teilhaben dürfen und ein Gespür zu bekommen wo ihr jetzt seid und wie es euch geht. Ich denke an euch. Nadine
Luise (Dienstag, 17 Juli 2018 21:09)
Sehr spannend und informativ geschrieben, teilweise war ich während des Lesens mit euch unterwegs. Ihr seit zwar einige Kilometer von uns entfernt, doch im Herzen ganz nah bei uns.
Robert (Dienstag, 17 Juli 2018 18:04)
Da habt ihr ja in weniger als sechs Monaten so viel erlebt das man staunen kann!!! Was für eine Freude Leonies und Lukas lächeln zu sehen...sie scheinen sich gut eingelebt zu haben.